Schikker wi Lot

„Schikker wi Lot“

Jiddische Gaunerlieder in Niederzissen
Erstes Konzert in restaurierter ehemaliger Synagoge

Niederzissen. „Betrunken wie Lot“, so umschrieben die beiden Berliner Künstler Franka Lampe und Fabian Schnedler ihr Liedprogramm beim ausverkauften Konzert in der ehemaligen Synagoge in Niederzissen. Nicht nur der ehemalige Synagogenraum war bis auf den letzten Platz besetzt, sondern auch der angrenzende Ausstellungsraum konnte als Zuhörerraum mit Blick auf die beiden Musiker genutzt werden. Der Vorsitzende des veranstaltenden örtlichen Kultur- und Heimatvereins Richard Keuler freute sich über den Zuspruch von über 90 Besuchern des ersten Konzertes. Besonders begrüßte er Frau Hilde Reiter geb. Vos aus New York mit ihrer Familie aus Israel, die kurz vor dem Konzert bei der Besichtigung der Ausstellung erfuhren, dass einige ihrer Vorfahren aus Hain und Dedenbach stammen.

Mit dem etwa zweieinhalbstündigen Konzert „Schikker wi Lot“ erfüllten Franka Lampe, Akkordeon, und Fabian Schnedler, Gesang, alle Erwartungen. Fabian Schnedler stellte mit humorvollen Worten das jeweilige Lied vor und spannte gekonnt den Bogen aus der Entstehungszeit der Lieder zur heutigen Zeit.
„Ganovim-Lider“ – ihr aktuelles Programm – ist eine Hommage an Shmuel Lehmann (1886-1941), einem der produktivsten Sammler jiddischer Folklore zwischen den Weltkriegen. Wie Fabian Schnedler eingangs erläuterte, hat Lehmann seine Sammlung von Liedern rund um das kriminelle Milieu in osteuropäischen Städten Anfang des 20. Jahrhunderts unter Ganoven, Gefangenen und Strafarbeitern zusammengetragen und 1928 veröffentlicht.
Sie lösten mit ihrem vielseitigen jiddischen Gesangsprojekt einen Rausch der kraftvollen und leisen Töne aus, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Aus der Tradition jiddischen Gesangs heraus eröffneten sie ungewohnte Einblicke in die Welt jiddischer Lieder.
Es war kein seichtes (wenn auch durchaus unterhaltsames!) Konzert. Fabian Schnedler und Franka Lampe beleuchteten die schwarzhumorigen, tragischen und dramatischen Abgründe des Lebensalltags Krimineller. Die beiden Musiker zeichneten die Figuren in ihren krassen Lebensumständen, ohne sie zu denunzieren, und brachten dem Zuhörer auf diese Weise jiddisches Liedgut näher, das (fast) nicht bekannt ist: ungehörte und unerhörte Lieder!
Zum Abschluss des Konzertes, das nicht ohne drei Zugaben endete, bat Richard Keuler Gerhard Eichhorn, aus Bonn angereistes Vorstandsmitglied der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die die Renovierungsarbeiten mit viel Geld unterstützt hat, die gewonnenen Eindrücke seinen Vorstandskolleginnen und -kollegen der Stiftung mit dem Hinweis weiterzugeben, dass das Geld in Niederzissen gut angelegt ist.

26.04.2012 17/12 – Olbrück Rundschau

Foto: Die beiden Berliner Künstler Franka Lampe (Akkordeon) und Fabian Schnedler (Gesang) zogen das Publikum in ihren Bann. Foto: chb