Opfergedenken stand unter Polizeischutz

Er­in­ne­run­gen an die Po­gro­me ge­gen die jü­di­sche Be­völ­ke­rung vor 81 Jah­ren in der ehe­ma­li­gen Syn­ago­ge Nie­der­zis­sen

Hans-Wil­li Kem­pe­nich

Nie­der­zis­sen. Es wa­ren gleich zwei Ge­denk­an­läs­se, zu de­nen der Kul­tur- und Hei­mat­ver­ein (KHV) und die Orts­ge­mein­de Nie­der­zis­sen für Sams­tag in die ehe­ma­li­ge Syn­ago­ge ein­ge­la­den hat­ten: Die Schän­dung des frü­he­ren jü­di­schen Got­tes­hau­ses in der so­ge­nann­ten Reichs­po­grom­nacht auf den Tag ge­nau vor 81 Jah­ren und – als die Wen­de zu bes­se­ren Zei­ten – der Be­schluss des Nie­der­zis­se­ner Ge­mein­de­ra­tes vom 9. No­vem­ber 2009, das da­mals leer ste­hen­de Ge­bäu­de zu kau­fen.

Hin­zu kam bei der Zu­sam­men­kunft in der heu­ti­gen Er­in­ne­rungs- und Ge­denk­stät­te so­gar noch ein Grund zum Fei­ern: Die Vor­stel­lung der zwei­ten Auf­la­ge des Bu­ches „Seit un­denk­li­chen Zei­ten … Der jü­di­sche Fried­hof in Nie­der­zis­sen“ von Brun­hil­de Stür­mer und Bri­git­te De­cker. Die Ex­em­pla­re des ers­ten Drucks von 2011 sind näm­lich in­zwi­schen rest­los ver­grif­fen. „Wir hat­ten in der Neu­auf­la­ge die Mög­lich­keit, Über­ar­bei­tun­gen vor­zu­neh­men und ei­ni­ge Lü­cken zu schlie­ßen“, sag­ten die bei­den Au­to­rin­nen. Denn in den ver­gan­ge­nen acht Jah­ren ha­be man ei­ne Rei­he neu­er Er­kennt­nis­se ge­win­nen kön­nen.

Brun­hil­de Stür­mer war für ih­re lang­jäh­ri­ge Er­in­ne­rungs­ar­beit erst vor gut drei Mo­na­ten in Ber­lin mit dem Bun­des­ver­dienst­kreuz aus­ge­zeich­net wor­den. Sie er­forscht seit Jahr­zehn­ten das Schick­sal der jü­di­schen Be­völ­ke­rung von Nie­der­zis­sen und dem Brohl­tal. Doch zu­nächst wur­de die wech­sel­vol­le Ge­schich­te der frü­he­ren Syn­ago­ge in den An­spra­chen und Gruß­wor­ten the­ma­ti­siert. Und die Red­ner wa­ren sich ei­nig: Man ha­be sich noch vor we­ni­gen Jah­ren nicht vor­stel­len kön­nen, dass bei ei­ner Ver­an­stal­tung wie die­ser in Er­in­ne­rung an Kas­sel und Hal­le ei­ne Strei­fen­wa­gen­be­sat­zung vor der Tür Po­li­zei­prä­senz zei­gen muss­te.

„Die Ge­scheh­nis­se von da­mals und die ak­tu­el­len Er­eig­nis­se füh­ren uns vor Au­gen, dass die Ge­sell­schaft end­lich auf­wa­chen und er­ken­nen muss, wie tief und breit An­ti­se­mi­tis­mus in Deutsch­land ver­brei­tet ist“, mahn­te KHV-Vor­sit­zen­der Ri­chard Keu­ler. Orts­bür­ger­meis­ter Rolf Hans rief den schwie­ri­gen Ent­schei­dungs­pro­zess zum Kauf der ehe­ma­li­gen Syn­ago­ge in Er­in­ne­rung, der auch die Ge­mein­de Nie­der­zis­sen vor zehn Jah­ren tief spal­te­te. „Es war ein sehr stei­ni­ger Weg, der letzt­lich aber ein er­folg­rei­ches En­de ge­fun­den hat. Da­zu ha­ben vie­le Mit­glie­der des Kul­tur- und Hei­mat­ver­eins ih­ren Bei­trag ge­leis­tet“, sag­te der Ge­mein­de­chef. In­zwi­schen sei die ehe­ma­li­ge Syn­ago­ge, auch dank der er­folg­rei­chen Ver­an­stal­tun­gen wäh­rend des gan­zen Jah­res, ein Wer­be­trä­ger für die Ge­mein­de Nie­der­zis­sen.

Dr. Chris­toph Si­mo­nis, stell­ver­tre­ten­der Vor­ste­her der jü­di­schen Ge­mein­de Ko­blenz, mein­te mit Blick auf das Po­li­zei­fahr­zeug vor der Tür: „Hof­fen wir, dass wir ei­nes Ta­ges Zei­ten er­le­ben, in de­nen das nicht mehr nö­tig ist.“ Kreis­bei­ge­ord­ne­ter Horst Gies be­grüß­te die breit ge­fä­cher­te Er­in­ne­rungs­ar­beit des KHV: „Es ist wich­tig für un­se­re Ju­gend zu wis­sen, was vor 81 Jah­ren ge­schah.“ Denn das Ge­heim­nis der Ver­söh­nung hei­ße Er­in­ne­rung. VG-Bür­ger­meis­ter Jo­han­nes Bell blick­te zu­rück auf die Er­geb­nis­se der Land­tags­wahl in Thü­rin­gen: „Ein Vier­tel der Stim­men für Björn Hö­cke und die AfD, wäh­rend die bür­ger­li­che Mit­te kei­ne 50 Pro­zent be­kommt. Es ist wich­tig ge­gen­zu­steu­ern. Denn vor 90 Jah­ren ist in Deutsch­land zu we­nig ge­gen­ge­steu­ert wor­den.“

Bilduntertext: Gäste und Gastgeber bei der Gedenkfeier und Buchvorstellung in der ehemaligen Synagoge in Niederzissen: Pfarrer Thorsten Hertel von der evangelischen Kirche, Abt Benedikt aus Maria Laach, Richard Keuler, Brigitte Decker, Brunhilde Stürmer, Rolf Hans, Kreistagsmitglied Petra Schneider, Ortsbeigeordneter Nico Degen, Horst Gies, Guido Ernst (MdL), Ortsbürgermeister Christoph Stenz aus Brenk und Johannes Bell. Foto: Hans-Willi Kempenich

Dienstag, 12. November 2019, Rhein-Zeitung Kreis Ahrweiler