Neues Buch zu Sensationsfund aus Synagoge

Autorin Linda Wiesner stellt wissenschaftliche Untersuchungen zur Genisa-Entdeckung aus Niederzissen vor

Von unserem Mitarbeiter Hans-Willi Kempenich

Niederzissen. „Stoffgeschichten“ ist der Titel eines Buches, das jetzt in der Erinnerungsstätte ehemalige Synagoge in Niederzissen vorgestellt wurde. Inhalt des Werkes ist die wissenschaftliche Auswertung der Textilfunde aus der Genisa des früheren Gotteshauses in Niederzissen. Stoffgeschichten im wahren Wortsinn also und gleichzeitig ein kulturhistorisches Zeugnis einer jüdischen Landgemeinde.

„Es war ein außergewöhnlich großer Fund, der hier vom Dachboden der früheren Synagoge geborgen werden konnte“, erklärte Autorin Dr. Linda Wiesner, die in ihrer Dissertation die fast 300 textilen Objekte aus der Genisa wissenschaftlich betrachtet und die Ergebnisse ihrer Arbeit in Buchform zusammengefasst hat. Dafür hat sie Textilien des persönlichen Gebrauchs sowie synagogale Stoffe wie ein Toramantel oder verschiedene Torawimpel untersucht.

„Die Niederzissener Genisa ist mit ihren wertvollen Objekten eine wirklich wichtige Quelle zur Erforschung der Alltagskultur einer jüdischen Gemeinde“, sagte die Autorin. Die Herangehensweise beim Bergen der Fundstücke sei „staubtechnisch nicht immer klug“ gewesen, bemerkte sie mit einem Schmunzeln.

„Das heute präsentierte Buch lässt wissenschaftliche Lücken in der Erforschung des Landjudentums kleiner werden. Längst Vergessenes wird wieder sichtbar“, lobte Richard Keuler, der Vorsitzende des örtlichen Kultur- und Heimatvereins (KHV), die Arbeit der Autorin. Dass die Funde aus Niederzissen in der Wissenschaft eine enorme Bedeutung haben, beweist auch die Aufmerksamkeit, die sie an anderer Stelle erfahren. „Die komplette Genisa wurde in 250 Archivboxen für ein Jahr ins erzbischöfliche Kunstmuseum Kolumba nach Köln verlagert“, erklärte Keuler. Dort ist sie noch bis August Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung „In die Weite – Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland“. Die Rückmeldungen, die er von Besuchern erhalte, seien überwältigend. Die Ausstellung sei ein wahrer Publikumsmagnet, wie auch der Museumsdirektor ihm bestätigt habe.

Das Wort ergriff auch Dr. Andreas Barth, der Geschäftsführer und Verlagsleiter des Universitätsverlages Winter in Heidelberg, der das Buch auflegte. Bei der Aufarbeitung des Materials sei ein sehr aufwendiges Druckverfahren verwendet worden, um den Bildern die gewünschte Wirkkraft zu ermöglichen. Rund 160 Farbfotos sind es, die den Reichtum des Fundschatzes beweisen. „Ohne einen Zuschuss des KHV wäre es nicht möglich gewesen, das Buch in dieser Form und zu diesem Preis zu veröffentlichen“, stellte Barth fest.

Grußworte sprachen auch Kreisbeigeordneter Horst Gies und Ortsbürgermeister Rolf Hans. Beide hoben die wertvolle Arbeit hervor, die der KHV seit Jahren in Niederzissen leistet. Der Kreis war übrigens die erste Gebietskörperschaft, die als Mitglied dem Förderverein ehemalige Synagoge beitrat und seither die vielfältige Erinnerungsarbeit unterstützt.

Umrahmt wurde die Buchvorstellung von musikalischen Beiträgen von Holger Queck, einem versierten Künstler, der mit seinen Theatermusiken schon auf Bühnen in aller Welt zu Gast war und sich auch nach der Ahrflut in Hilfsprojekten engagierte. So konnte er mehr als 100 Instrumentenspenden aus ganz Deutschland an flutbetroffene Familien im Ahrtal vermitteln.

Das Buch „Stoffgeschichten“ von Linda Wiesner kostet 48 Euro und ist beim Kultur- und Heimatverein sowie über den Buchhandel zu beziehen.

Zur Person:

Linda Wiesner studierte Germanistik, Neuere und Neueste Geschichte, Musikwissenschaft und Jüdische Studien in Heidelberg, Graz und Dresden. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und am Jüdischen Museum Augsburg. Seit 2018 erforscht sie am Jüdischen Museum Frankfurt die Herkunft von Objekten der Judaica-Sammlung und leitet zurzeit das Archiv und die Bibliothek des Museums. In der ehemaligen Synagoge in Niederzissen war sie erstmals am 11. April 2011. Die Verbindung ins Brohltal ist seitdem nie mehr abgerissen. Auch das ist ein weiterer Beweis für die hohe Bedeutung der Genisa-Funde.

Bilduntertext:

Freuen sich über ein Buch, in dem die Textilienfunde aus der ehemaligen Synagoge Niederzissen präsentiert werden (von links): Rolf Hans, Horst Gies, Andreas Barth, Linda Wiesner, Richard Keuler und Holger Queck. Foto: Kempenich

Montag, 04. April 2022, Rhein-Zeitung Kreis Ahrweiler, Seite 29